Der Wichtel.

(„Tomten“ von Viktor Rydberg aus dem Jahre 1881)

 

 

Die Winternacht ist kalt und hart.

Die Sterne glitzern, funkeln.

Zu dieser Stund ruht alles zart

im stillen Hof im Dunkeln.

Der Mond geht seine leise Bahn.

Der Schnee glänzt weiß auf dunklem Tann.

Der Schnee glänzt weiß am Dache.

Der Wichtel hält hier Wache.

 

Er steht am dunklen Scheunentor

vergraut vor dem Geschneibe

und schaut wie dutzendfach zuvor

hinauf zur Mondenscheibe,

schaut zu den Föhrn und Fichten hin,

die wandgleich um den Hof sich ziehn.

Das Rätsel aller Wesen

sucht er indes zu lösen.

 

Fährt mit der Hand durch Bart und Haar,

doch schüttelnd mit dem Haupte

spricht er: „Solch Rätsel – welch ein Narr,

der es zu lösen glaubte!“

Der Wichtelmann erhebt sich nun,

um seine Pflicht wie stets zu tun,

stapft los – und sucht indessen,

das Rätsel zu vergessen.

 

Vorm Schuppen und Geräteraum,

da prüft er alle Schlösser.

Am Krippchen einen Sommertraum

erträumen Küh und Rösser.

Vergessen Zug und Peitschenknall

träumt Pålle tief in ihrem Stall

mit Speichel auf den Lippen

von kleegefüllten Krippen.

 

Er geht zum Stall von Lamm und Schaf,

die träumen auch schon lange.

Im Hühnerstall schläft alles brav,

der Hahn auf höchster Stange.

Der Karo in dem Hundehaus

schläft sich im warmen Strohbett aus.

Der Wichtel mag ihn leiden –

Vertraute sind die beiden.

 

Dann stapft er still zum Bauernhaus.

Er lässt sich’s nicht verwehren

und schaut auch nach den Menschen aus,

die allesamt ihn ehren.

Zum Kinderzimmer schleicht entzückt

der Wichtel stumm und still beglückt

und stellt sich auf die Zehen,

die Kinderlein zu sehen.

 

So sah er alle, Vater, Sohn,

und sieht noch heut verschwommen

wohl jegliche Generation.

Woher sind sie gekommen?

Die Ahnen blühten, welkten in

den Jahren, gingen – doch wohin?

Und wie vom Wind getragen

kam eine jener Fragen.

 

Er klettert auf das Scheunendach

zum Grübeln allenthalben.

Dort hat er Wohnung und Gemach

ganz nah dem Nest der Schwalben.

Ach, leer steht ihre Wohnung jetzt –

doch hat der Lenz erst eingesetzt,

lässt sich die Schwalbe wieder

mit ihrem Mann hier nieder.

 

Dann singt sie lieblich vor sich hin,

von ihren weiten Reisen.

Indes lässt jener seinen Sinn,

erneut ums Rätsel kreisen.

Die Scheunenbretter sind nicht dicht,

auf seinen Bart fällt Mondenlicht

und glitzert dort recht heiter,

er aber grübelt weiter.

 

Der Wald und die Umgebung liegt

gefangen dort im Eise.

Der Wasserfall, der nie versiegt,

rauscht stetig, leise, leise.

Der Wichtel, davon ganz betört,

beschließt, dass er das Leben hört.

Fragt sich, wohin es ginge

und wo der Quell entspringe.

 

Die Winternacht ist kalt und hart.

Die Sterne glitzern, funkeln.

Am Morgen noch ruht alles zart

im stillen Hof im Dunkeln.

Der Mond geht seine leise Bahn.

Der Schnee glänzt weiß auf dunklem Tann.

Der Schnee glänzt weiß am Dache.

Der Wichtel hält hier Wache.

 

 


Veröffentlicht in „Das Christkindl im Walde“

 

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