Beschreibung

 

Gefleckte Hyäne, ein junger Eiszeitjäger, trifft nach Jahren der Trennung seine Jugendliebe Wilder Schwan wieder, die abgeschieden von ihrem Stamm als Jägerin und Höhlenmalerin lebt. Seine Versuche, sie zu erobern, scheitern, denn Wilder Schwan hat sich einzig und allein dem Gott der Künste, Elian mit dem Löwenkopf, verschrieben.

In der Verkleidung eines Löwen gelingt es dem Verliebten aber doch, ihr näherzukommen, und das Glück ist zum Greifen nahe. Wäre da nicht der gewaltbereite Nebenbuhler – ganz zu schweigen von dem Seelenklauber Gilmors, dem Gott der Unterwelt, der Gefleckte Hyäne ebenfalls mit dem Löwengott verwechselt …

 

Erster Teil der ALTERA-ALA-ANIMAE-Ennealogie.

 

 



Leseprobe

Wilder Schwan war auf eine Übernachtung natürlich nicht vorbereitet gewesen und ich musste mein Bärenfell mit ihr teilen. So saßen wir lange. Zusammengekuschelt an der Glut unseres Feuers, betrachteten das von Pollums Licht tief verschneite Felsental, knabberten Röhrlinge und gingen unseren Gedanken nach.

Ich fragte mich, wie ich das mit der Jagd anstellen sollte. Einfach den Speer zuspitzen und hoffen, damit Erfolg zu haben? Oder lieber doch eine neue Klinge und Birkenpech herstellen? Oder einfach den Geiern nach durch die Steppe streifen und hoffen, frisches Aas zu finden? Das wäre gemogelt, aber viele Erstjäger haben – wenn man den Geschichten im Rundzelt trauen darf – auf diese Weise schon Respekt erlangt.

Ich wusste es nicht. Ich hoffte, dass Wilder Schwan mich noch ein wenig begleiten würde – neue Pilze und Früchte musste sie ohnehin finden.

„Elian“, sagte Wilder Schwan irgendwann. „Siehst du?“ Sie deutete mit zwei Fingern nach dem Sternenbild des Löwengottes. Ich hatte Probleme, ihn zu erkennen.

„Ich habe mir sein Bild auf den Körper tätowiert, weißt du?“, sagte sie.

„Wirklich?“, erwiderte ich. „Wo denn?“

Wilder Schwan zeigte mir verschiedene Punkte an Hand, Schulter, Bauch und Fußknöchel. „Hast du schon mal einen Löwen gesehen?“, fragte sie, als sie sich wieder zugedeckt hatte.

„Nur einmal. Und auch nur von ganz weit weg.“

Eigentlich hatten ihn bei dem Ausflug, von dem ich sprach, nur meine Eltern gesehen. Ein Sprichwort unseres Stammes besagt: Wo Menschen sind, werden Löwen zu Luft. Denn sie ziehen weiter, sobald sie unsereinen kommen sehen.

„Stell dir mal vor, das hier wäre eine Löwenhöhle“, flüsterte Wilder Schwan und freute sich an der vogelgleichen Haut, die ihren Körper augenblicklich überzog. Auch ich gruselte mich, obwohl die Höhle kaum einen Speerwurf tief war und nach nichts als nacktem Stein gerochen hatte.

Ich stand auf, kletterte ein wenig über die Felsen, riss so viele Zweige, Wurzeln und Blätter aus, wie ich auf die Schnelle finden konnte, und fütterte die Glut damit. Nur zur Sicherheit.

Sowie die Flamme sich neu belebte und die Höhle und nahe Umgebung in feuchten Rauch hüllte, legten wir uns nieder. Wir drehten einander den Rücken zu, flüsterten unsere Gebete und warteten auf den Schlaf. Irgendwann drehte ich mich um, legte meine Arme auf ihre und berührte mit der Stirn ihren Hinterkopf.

„Du riechst wie ein Mädchen“, sagte ich.

„Ich bin ein Mädchen“, murmelte sie zurück.

„Sehr witzig“, sagte ich.

„Was ist witzig?“

Einige Augenblicke war nichts als das Knacken des Feuers zu hören.

„Dass du sagst, dass du ein Mädchen bist.“

„Was denkst du denn, was ich bin?“

Erst jetzt kamen mir Zweifel. Erst jetzt erinnerte ich mich daran, dass Wilder Schwan die Schule nicht besuchte und darin gar kein Problem sah. Ohne darüber nachzudenken, griff ich mit der Hand nach ihrem Geschlecht – aber noch bevor ich sie richtig berührt hatte, drehte mir Wilder Schwan die Hand um, dass ich vor Schmerzen heulte.

Und das war – da werdet ihr mir recht geben – der bei Weitem bessere Beweis für ihre Weiblichkeit.

Von da an kuschelten wir nicht mehr. Ich hielt eine Unterarmlänge Abstand, überließ ihr das größte Stück des Bärenfells und fror. Und doch war nicht die Kälte der Grund, warum ich keinen Schlaf in jener Nacht fand.