Und wenn ein Kobold in deiner Bibliothek erscheint? Und wenn er droht, sämtliche Märchen darin zu entwenden? Wenn seine diebischen Finger auch vor den märchenhaften Zügen deines Lebens – den schönsten Zügen! – nicht Halt machen, um dich als Philister par excellence zurückzulassen? Wenn nicht weniger auf dem Spiel steht als die vollendete Verblödung durch Vernunft?
Doch ruhig – die Retter sind schon unterwegs: Sir Coharz aus Groharz, der die Prinzessin mit dem Kopf eines schottischen Wasserdrachen zu gewinnen sucht, Helgi, der Haddinge-Held, mit seiner geliebten Schwanen-Walküre, der Seefahrer Seçkin, der den Jungfernpalast der widerspenstigen Ayşe zu zerstören sucht, und Prinzessin Fantaghirò werden dir beistehen. Und schon siehst du dich von Faunen und Nixen, Trollen und Labyrinth-Bestien umringt und verschließt die Augen beim Anblick des Neuntöters, der sichelschwingenden Luz und des Leibhaftigen persönlich, um zuletzt in den trüben Blicken des Meisters Lebensfroh neuen Halt zu finden.
Zahlreiche liebevolle Illustrationen lassen dich zwischen alpenländischen Rauhnächten und den Ufern des Rheines taumeln, zwischen morgenländischen Palästen und nördlichen Fjorden, zwischen den Tiefen des Meeres und dem Himmelreich, zwischen Vergangenheit und Zukunft, Prosa und Lyrik.
Es ist ein erster Schritt gegen die Kleptomanie des Goggolori.
Wohlgemerkt: ein erster.
Es war der späteste Juli desselben Jahres. Scherzhaft knirschten die Weiden. Mit den Zweigen knirschten sie und das Regengewürm versuchte sich in tadellosen Pirouetten und auch die alten Schneidebrenner schnitten leiser und brannten wohl auch kühler als am Nachmittag des Vorjahres. Der Qualm der Nacht lag noch auf den Straßen, Frau Sonne hatte goldenen Staub darauf gezuckert. Im Wirtshausstüberl gingen die Hunde ein und aus, den Herrchen und Frauchen aber lag der Schlaf noch mützenweise auf den Lidern. Sie schnarchten mit offenen Mündern und roten Nasen unter den Tischen, bisweilen unter der alten, im letzten Sommer in mühevoller Kleinarbeit vom Chefrestaurator der Stadt höchstpersönlich erneuerten Ofenbank. In der Akademie ging alles seinen gewohnten Gang, die Litfaßsäulen trugen bunte Plaketten: „Im Sommer wollen wir wunder was erleben!“
Dann: Ein Autohupen. Von ferne rollt die Menschheit daher, zwei Kaffeebecher auf dem Lenkrad balancierend und bisweilen wild mit den Armen gestikulierend. Es ist sieben Uhr siebenundvierzig. Unter den Krawatten trägt man bereits den Badeanzug. Die jungen Praktikanten tragen dezente Schwimmflügel. In den Augen glitzert es. Baden gehen. Baden gehen.
Baden gehen. Nur noch kurz die E-Mails checken. Und gucken, dass keiner guckt. Dann baden gehen. In die Sonne legen, die Finger spreizen, um wirklich überall braun zu werden. Nur noch kurz den Arbeitsplatz auskehren, dann weg mit dem Besen! Die Hitze flimmert auf den Äckern. Der blaue Mohn zuckt und windet sich und scheint doch ganz rot in seinem Gesumms. Manchmal schwingt sich eine höfliche Bö vom Himmel, verebbt aber auf halber Höhe, um sich mit dem Sonnenschein zu verpaaren. Die Kinder heißen Baden-Gehen und Franz-Eugen.
Wer die Submarke von der Hauptmarke unterscheiden kann, kann sich glücklich schätzen. Wer eine liebende Ehefrau zu Hause hat, auch. Verdrießlich stimmen nur die grünen Filzstifte, die des Nachts stibitzt und bis auf den letzten Rest Farbklecks aufgebraucht wurden. Ja, freilich, eigentlich geht es ja auch ohne grüne Filzstifte, es ist und bleibt aber eine Prinzipiensache. In den Pausen tragen die Männer ihre Butterbrote zum Metzger, um sie mit Speck und Sauce befüllen zu lassen. Für jeden nur eine Kelle, da ist der Metzgerlehrling fair. Die Fliegen schlägt er nebenher mit der Klatsche und gibt sehr darauf acht, dass sie nicht in das Gulasch fallen. Die Milch ist sauer. Das Sauerkraut auch. Der Farn im Blumenkasten rollt sich der Siesta entgegen.
Alles ruht, pausiert. Die frohe Hoffnung schwebt über der Stadt: Bald geht’s ins Wasser. Nur noch den Nachmittag. Nur noch die Festplatte ausmisten. Nur noch wenige Stunden. Und die machen Spaß. Frau Gruberin erzählt von den süßen Äpfeln auf dem Apfelbaum im Apfelgarten des Apfelbauern, aus denen sie Apfelmost zu machen gedenkt. Sie ist eine Künstlerin. Sie macht aus jedem Obst Apfelmost. Herr Streibel hat heute Turnschuhe angezogen – ein Fauxpas, den die freundlichen Kollegen aber durch das Zur-Verfügung-Stellen eigener angemessener Schuhe unbürokratisch bereinigen, bevor der Chefchef der Abteilung etwas bemerkt. Da spart Herr Streibel nicht mit Dankbarkeit und Schokolade. Noch eine Stunde. Die Münder sind schokoladig braun, die Herzen weit, die E-Mails gecheckt. Dass jetzt nur kein Gewitter aufzieht! Die Praktikanten blasen ihre Schwimmflügel auf. Ein Raunen und Beben geht durch die Abteilung. Das Telefon klingelt. Der Cousin eines Nachbarn zweiten Grades hat hinten über dem Gisbinder Moos eine Wolke gesehen. Das darf doch nicht wahr sein! Was für ein Schlamassel! Doch hier über uns ist der Himmel noch ganz frei. „Seht ihr nicht den kleinen Freiraum in eurem Leben, der weiß Gott mit Tugend und Jugend aufzufüllen sei!“, wispern die Dichter, doch alle starren nur gebannt auf den Himmel. Auch der Chefchef der Abteilung. Er hat heute Turnschuhe an.
Frau Sonne lacht aus vollem Munde, doch es sind ja noch einige Minuten, so viel kann passieren. Und wieder klingelt das Telefon. Die Meute zerschlägt sich beim Spurt darauf, der Teamleiter hat es zuerst zu fassen gekriegt, Herr Streibel hat sich wie ein Piranha in der Schnur verbissen. Der Cousin hatte sich geirrt: Die Wolke ist ja doch nur ein grünes Flugzeug gewesen. Der Saal explodiert. Die Stifte und Scheren fliegen im Jubel aus den Fenstern. Nun läutet auch schon die Glocke. Feierabend. Badeabend. Sommer, Sonne, Sole mio. Die Menschheit springt in ihre fahrenden Autos hinein. Dann Ampel. Dann See. Und durch das offene Verdeck hinein in die Fluten. Platsch!! Da spritzt die Sonnencreme. Frau und Kinder sind schon da und schaukeln auf den Luftmatratzen. Das Sonnenlicht tanzt reflexartig in den Gesichtern. Vati macht ein Foto davon. Und habt ihr Lust auf ein zünftiges Lagerfeuer? Mit Gesang? Und Würsteln?
Da ist die Sonne schon in den Bäumen versunken und verursacht einen Waldbrand. Die Würstel und der Camembert schmecken wundervoll. Mücken und Glühwürmchen ziehen ihre Kreise immer enger. Die Kinder singen noch ein bisschen schief – sie treffen die Töne nicht, aber die Eltern lachen herzlich darüber. Ein Lied in C-Fix. Eine Gitarrensaite springt.
Am späten Abend schlendert die Menschheit von alten Zeiten und fernen Ländern schwärmend und zuweilen Schlaflieder zwitschernd in die Kinderzimmer, um den Nachwuchs
zu Bett zu bringen. Zwei, drei oder auch mehr Küsse – das geschähe dann aber im Geheimen – werden in den Ehezimmern noch getauscht, bis man in einen tiefen, traumlosen Schlaf
gleitet.
Das war der Tag, an dem Meister Lebensfroh beschloss, sich umzubringen.