Ich warte hier.

(veröffentlicht in „Der Schlossweg.“)

 

 

Mein Liebling,

ich wollte im Grunde nicht sterben wie du!

Ich wollte nicht dort in die Unterwelt fahren,

um zwischen den wimmelnden, furchtsamen Scharen

als Abklatsch zu leben, was wir beide waren.

Ich käme doch niemals als Schatten zur Ruh!

 

Ich brauche Unsterblichkeit, um dich zu sehen:

Ich warte und lasse die Weltmeere wallen,

Vulkane zerbersten, die Sturmwinde wehen,

Oasen veröden, Planeten vergehen,

die Sterne verlöschen, die Urknalle knallen,

Kometen auf sämtliche Sinnfragen prallen.

 

Nach zweien, nach tausend, vielleicht nach Milliarden

von neuen Gestirnen, unendlichem Warten,

da beißt sich die Natter des Seins in den Schwanz.

Sie kullert letztendlich, um wieder zu starten,

von Giften und Gegengift zuckend im Tanz:

Es keimt eine brandneue Erde im Kranz.

 

Und irgendwo dort zwischen Werden, Vergehen,

erkalteter Lava und grünenden Steinen,

fischartigen Wesen am Festland mit Beinen,

dort werde ich wieder dein Bildnis erspähen:

Du wirst in der drückenden Stille erscheinen

und ich werde wartend am Meeresstrand stehen.

 

Mein Liebling,

ich wollte im Grunde nicht sterben wie du!

Ich gleite auf Schlangenhaut quer durch die Zeit,

bis alles von vorne beginnt, auf dich zu.

Ein Kuss, ein Umarmen, ein kurzes Geleit

bedeutet wohl nichts in der Endlosigkeit.

Ich warte hier dennoch, mein Schatz, immer wieder

beständig auf dich – für ein Zucken der Lider.