Der Wein des Dichters.
(veröffentlicht in „Versepen.“)
Seht, ihr Götter, am Gestein
entfalten sich vier Sorten Beeren,
die seit Tagen hier vergären.
Nun entsteht der Dichterwein.
Leichte Gärung grüner Reben,
frisch gehopst ins neue Leben,
wohlbewusst, dass jede Stufe
wieder neue Würze rufe,
alle Freude, alle Wonne,
stets getrunken aus der Sonne,
alles Tanzen, alles Singen,
wenn im Wind die Blätter schwingen,
alle Freude, aller Spaß,
Begeisterung und sonst noch was
springet hier als leichter Wein
in den Kantharos hinein.
Herbe Gärung weißer Reben,
stetig sinnend übers Leben,
wägend, ob ein Weg ein rechter
Weg sei oder doch ein schlechter.
Alles Denken, alles Sinnen
über Maden, Würmer, Spinnen,
aller Zweifel, alle Ahnung:
Zufall oder Götterplanung?
das Vermögen und Behagen,
schwere Bildung zu ertragen,
rieselt hier als herber Wein
in den Kantharos hinein.
Süße Gärung roter Reben,
kostend jede Lust im Leben,
rund und prall, zum Bersten wuchtig,
stets verführerisch und fruchtig,
alles Flüstern, alles Flöten,
dass die Wälder sanft erröten,
alle Reife, alle Frucht,
begierig, dass man sie versucht,
das erregende Begehren,
sich mit Bienen zu vermehren,
rauschet hier als süßer Wein
in den Kantharos hinein.
Schwere Gärung blauer Reben,
sorgenvoll entsagt dem Leben,
so wie Tränen an den Wangen
gelber Blätter aufgehangen,
alle Leiden, alles Elend,
stets an Trost und Wärme fehlend,
alle Ängste, alle Schrecken,
sich dem Schnitter hinzustrecken,
alles Gift und aller Geifer,
Kränkungssucht und Tötungseifer
rinnet hier als schwerer Wein
in den Kantharos hinein.
Apollo! hättest du vor Jahren
das Rezept bei dem Orakel
nicht von Dionys erfahren,
hätten wir nicht dies Debakel!
Fürchtet dies Getränk von Dichtern!
Denn ein kleines Schlücklein nur
berauscht euch. Nimmer seid ihr nüchtern!
Sehnsucht nenn ich die Mixtur.